Tiergestützte Intervention

 

Tiere im Kontext pädagogischer Förderung

Können Tiere erzieherisch helfen? Fast jedes Kind wünscht sich ab einem bestimmten Alter Tiere als Spielkameraden. Die Zoogeschäfte sind voller Kinder, die den spontanen Kontakt zu Tieren suchen. Tiere können Kinder über Krisen hinweghelfen. Sie akzeptieren das Kind vorurteilslos, spenden Trost und spiegeln unmittelbar und ohne zu beurteilen das Verhalten des Kindes wider. Im Umgang mit Tieren wird das Wahrnehmungsvermögen geschult und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung geweckt.

Dass Tiere Entwicklungshelfer sein können, dass sie die kindliche Entwicklung beeinflussen und das menschliche Wohlbefinden steigern können ist seit langem bekannt und wird bereits seit dem achten Jahrhundert pädagogisch und therapeutisch genutzt. Heute ist der Einsatz von Tieren in therapeutisch-pädagogischen Praxisfeldern keine Seltenheit mehr: in Behinderteneinrichtungen, Strafvollzugsanstalten und Einrichtungen der Suchthilfe finden tiergestützte Interventionen Anwendung. In 40 Prozent aller Psychiatrien sind Tiere ein Element moderner Psychiatrie-Konzepte. Und auch in Kindergärten und Schulen werden Tiere zunehmend auf vielfältige Weise pädagogisch-therapeutisch genutzt.

Auch das Parzival-Zentrum hat begonnen, Tiere einzusetzen, um Lern- und Entwicklungsfortschritte anzuregen und zu fördern.

Tiergestützte Interventionen am Parzival-Zentrum

Seit einigen Jahren findet am Parzival-Zentrum ein schrittweiser Ausbau Tiergestützter Interventionen statt. Zunächst wurden Tier-Besuchsprogramme durchgeführt. So wurden immer wieder tageweise Hündinnen mit ihrem Wurf junger Hunde in einzelnen Klassen beherbergt. Dann folgten Tierhaltungen in einzelnen Klassenzimmern. Dabei ging es vor allem um das Beobachten, Pflegen und Streicheln von Kaninchen. Schließlich wurde ein kleiner Schulzoo aufgebaut, der inzwischen Ziegen, Schafe, Hängebauchschweine und Lamas umfasst.

Im nächsten Ausbauschritt soll der Schulzoo um Esel und Pferde erweitert werden. Auch die Haltung von Bienenvölkern ist geplant.
Neben den beschriebenen Tiergestützten Aktivitäten werden die Tiere auch verstärkt zur Tiergestützten Pädagogik, also zu didaktischen Zwecken in den Klassenstufen und zur gezielten Förderung einzelner Schüler eingesetzt werden.
Außerdem soll der schultherapeutische Bereich des Parzival-Zentrums um den Bereich der Tiergestützten Therapie ergänzt werden. Hier sind vor allem Voltegieren und therapeutisches Reiten vorgesehen.

Was sind Tiergestützte Interventionen?

Unter dem Begriff „Tiergestützte Intervention“ wird der Einsatz von Tieren in erzieherisch-pädagogisch-therapeutischen Praxisfeldern verstanden. Der Oberbegriff umschreibt vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Tiergestützte Aktivitäten, Tiergestützte Pädagogik und Tiergestützte Therapieformen (Vernooij/Schneider, 2008, 34ff).

Tiergestützte Aktivitäten sind sporadische Aktivitäten, die von Laien mit dafür geeigneten Tieren durchgeführt werden, um das Wohlergehen und die Lebensqualität der Zielgruppe zu verbessern.
Tiergestützte Pädagogik gliedert sich in die Bereiche „tiergestützte Didaktik“ und „tiergestützte Förderung“.

Tiergestützte Didaktik

Im Rahmen der tiergestützten Didaktik werden geeignete Tiere im Kindergarten und in der Schule durch Pädagogen eingesetzt, um Lernprozesse anzuregen und Lernfortschritte zu erzielen.

Tiergestützte Förderung

Bei der tiergestützten Förderung handelt es sich um tiergestützte Interventionen auf Grundlage einer individuellen Förderplanung um die vorhandenen Ressourcen eines Kindes zu stärken, Entwicklungsrückstände nachzureifen und unzulänglich ausgebildete Fähigkeiten zu verbessern. Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen, wobei der sozio-emotionale Bereich einen Förderschwerpunkt darstellt. Durchgeführt wird die tiergestützte Förderung von Sonderpädagogen mit speziell ausgebildeten und trainierten Tieren.

Tiergestützte Therapie

Unter diesem Begriff werden unterschiedliche tiergestützte Heilverfahren zusammengefasst. Auf Grundlage eines Therapieplans soll mittels spezifisch ausgebildeter und trainierter Tiere durch Therapeuten mit unterschiedlichen Therapiekonzepten eine
Bearbeitung von Erlebnissen, von Konflikten und des Verhaltens erfolgen. Ziel ist eine Stärkung der Lebensgestaltungskompetenz.

Welche pädagogisch-therapeutischen Einwirkungsmöglichkeiten bieten Tiergestützte Interventionen?

Allgemeinpädagogik

Jede menschenwürdige Pädagogik möchte das Kind in die Lage versetzten, sein individuelles Potential unter Einbindung in sein soziales Umfeld ausschöpfen und seine Biografie selbstbestimmt gestalten zu können. Dabei orientiert sich die Pädagogik an vier Leitzielen (Vernooij/Schneider, 2008, 75ff): die Förderung der Gesamtentwicklung (Entwicklungsorientierung), die Förderung und Weiterentwicklung vorhandener Fähigkeiten sowie Verbesserung von Fehlentwicklungen und Kompensation mangelnder Ressourcen (Ressourcenorientierung), die Förderung notwendiger Kompetenzen (Bedürfnisorientierung) und die Förderung von Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Handlungsfähigkeit (Autonomieorientierung). Alle vier Orientierungsprinzipien können durch Tiergestützte Interventionen unterstützt werden.

Tiere fördern das ganzheitliche Lernen

Sie „lassen Menschen noch unentwickelte Anteile der Persönlichkeit verspüren, sie erlauben es unbewusste und abgelehnte Anteile der Person auf sich zu projizieren und damit ein Stück weit erkennbar zu machen, und sie fördern eine Synthese von bewussten und unbewussten Anteilen“ (Schwarzkopf/Olbrich, 2003, 266). Mittels Tiergestützter Interventionen können Verhaltensformen eingeübt, körperliche Bewegungsabläufe trainiert, kognitive Fähigkeiten entwickelt, Erlebnisse verarbeitet und Konflikte bewältigt werden.

Tiere fördern selbstgesteuertes Lernen

Durch ihren Aufforderungscharakter und ihre Kontaktfreudigkeit erhöhen sie die Motivation von Kindern, die Umwelt zu erobern, Neues kennenzulernen und sich neuen Erfahrungen und Erlebnissen zu öffnen. Tiere regen zu selbständigem Lernen an.

Tiere fördern nonverbale Kommunikation

Bis zu 80 Prozent unserer Kommunikation verläuft nonverbal mittels Mimik, Blickkontakt, Gestik, Körperhaltung, Stimmmodulation usw. Nonverbale Kommunikation beeinflusst unsere Beziehungen. Sie ist der Hauptfaktor unserer Beziehungsbotschaften. Tiere können zur Sensibilisierung von Kindern hinsichtlich ihrer nonverbalen Kommunikation eingesetzt werden. In der Interaktion mit dem Tier lernt das Kind sich durch Berührung, Blickkontakt, Körperhaltung und Körperbewegung auszudrücken.

Tiere fördern emotionale und soziale Kompetenzen

Kommandoarbeit mit Tieren fördert das selbstsichere Auftreten (Selbstwertgefühl). Der Umgang mit dem Tier erhöht das Selbstvertrauen und die Fähigkeit, nonverbale Signale anderer wahrzunehmen (Sensibilität). In der Interaktion mit dem Tier muss das Kind die Absichten, Gefühle und Bedürfnisse des Tieres erkennen und darauf in angemessener Weise reagieren. Dies übt die kindliche Empathiefähigkeit und Anpassungsbereitschaft. Soll ein Tier gehorchen, müssen verbale und nonverbale Anteile im Kind übereinstimmen. Das Tier wird sonst den Anweisungen nicht folgen, da es unmittelbar, spontan und unreflektiert auf das menschliche Verhalten reagiert. Darüber hinaus erziehen Tiergestützte Interventionen das Kind zu Verantwortlichkeit, Fürsorglichkeit und Zuverlässigkeit.

Sonderpädagogik

Im Bereich der Sonderpädagogik geht es um die Erziehungs-, Bildungs- und Förderungsaspekte von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen: körperliche, sprachliche, kognitive, emotionale und soziale Beeinträchtigungen sowie Beeinträchtigungen in den Sinnen, im Lernen und im Verhalten. Tiergestützte Interventionen können beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen helfen Entwicklungsverzögerungen nachzureifen oder zu kompensieren. „Der heilende Prozess in der Interaktion zwischen Tier und Mensch beeinflusst unser ganzes Sein. So werden unser Körper (z.B. Muskelentspannung), unser Geist (z.B. Gedächtnistraining), unsere Seele (z.B. Artikulation von Gefühlen) und unseren sozialen Talente gleichermaßen angesprochen“ (Otterstedt, 2001, 27).

Tiergestützte Interventionen werden oft bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt, die Störungsbilder im Lernen, im Sozialverhalten und in der Sprachfähigkeit zeigen:

Lernbeeinträchtigungen

Lernbehinderungen liegen meist multikausale Verursachungsfaktoren zu Grunde. Oft werden erst durch mangelnde Förderung und negative Umwelteinflüsse aus anfänglichen Lernstörungen massive Lernbehinderungen. Durch Tiergestützte Interventionen können Kompetenzen außerhalb der Kognition gefördert werden, die sich schließlich positiv auf Lernprozesse auswirken. Im Fokus der Intervention steht also nicht die direkte Verbesserung schulischer Leistungen, sondern das emotionale Befinden des Kindes. Die tiergestützte Intervention soll individuelle Stärken hervorheben, Selbstvertrauen aufbauen sowie Handlungsautonomie und Selbstwirksamkeit erhöhen.

Beeinträchtigungen im emotionale Erleben und Sozialverhalten

Kinder und Jugendliche mit Auffälligkeiten im Verhalten signalisieren ihre seelische Not. Sie zeigen durch ihr abweichendes Verhalten, dass sie in ihrem Leben überfordert sind und weisen auf ein unbewältigtes Konfliktgeschehen hin. Tiergestützte Interventionen können dabei auf vielfältige Weise helfen. Tiere bieten Entlastung und Akzeptanz. Sie bewerten nicht. Das verhaltensauffällige Kind fühlt sich vom Tier meist in seinem So Sein akzeptiert und angenommen. Tiere spiegeln spontan, unmittelbar und unreflektiert das kindliche Verhalten wider. So werden unbewusste Anteile ohne Bewertung aufgedeckt und einer Bearbeitung zugänglich gemacht. Auch abgewehrte Gefühle kommen so an die Oberfläche des Bewusstseins. Das Kind lernt sich ihnen zu stellen und sie zu beherrschen. Im Umgang mit dem Tier kann das Kind auch lernen, mit eigener Begrenzung und Frustration umzugehen sowie eigene Stärken und Fähigkeiten zu erkennen.

Sprachbeeinträchtigungen

Sprachliche Beeinträchtigungen rufen oft Sekundärprobleme hervor. Sprachentwicklungsstörungen und Sprachbehinderungen stören nicht nur das Kommunikationsverhalten. Da sie in enger Wechselbeziehung zu Motorik, Emotion, Sozialverhalten, Wahrnehmung und Kognition stehen, können sie nicht isoliert betrachtet werden, sondern bedürfen einer ganzheitlichen Förderung. Tiergestützte Interventionen, vor allem das therapeutische Reiten, entsprechen diesem ganzheitlichen Anspruch auf Förderung. Beim therapeutischen Reiten werden nicht nur verschiedenste Sinneswahrnehmungen angesprochen und geschult, sondern auch muskuläre Verspannungen und Blockaden gelockert und gelöst. Reiten bedeutet immer ein Sich-Einlassen auf die Bewegungsimpulse des Pferdes. Die wechselnde Spannung und Lösung des Körpers beim Reitvorgang fördert die Gesamtreifung der Motorik und beeinflusst so den Artikulationsvorgang.

Sogenannte geistige Beeinträchtigungen

Auch bei den sogenannten geistigen Beeinträchtigungen bieten Tiergestützte Interventionen eine ganzheitliche Förderung. Sie wirken auf Wahrnehmung und Sprachentwicklung, auf Emotionalität und kognitive Prozesse sowie auf das Sozialverhalten. Außerdem können durch den Umgang mit Tieren Ängste und Hemmungen abgebaut sowie eine physische und psychische Entspannung herbeigeführt werden. Darüber hinaus fördert die Versorgung der Tiere eine Tagesstrukturierung und die Verantwortlichkeit.

Welche Einwirkungsmöglichkeiten auf Bereiche der Gesamtpersönlichkeit sind durch Tiergestützte Interventionen möglich?

Förderschwerpunkte

Motorik, Motivation, Kognition/Lernen, Wahrnehmung/Sensorik, Sozialverhalten, Emotionalität und Sprache/Kommunikation sind Bestandteile unserer Gesamtpersönlichkeit. Sie stellen Förderschwerpunkte in der sonderpädagogischen Förderarbeit dar. Die Prozesse in den verschiedenen Bereichen stehen dabei immer in einem Zusammenhang. Sie bilden eine Wirkungseinheit. Beeinflussungen und Veränderungen in einem Bereich wirken sich immer auch verändernd auf die anderen Bereiche aus. Für gezielte Fördermaßnahmen bedeutet dies, dass die Einwirkung nicht notwendigerweise am offensichtlichen Problemfeld einsetzen muss, sondern auch indirekt geschehen kann. Tiergestützte Interventionen können gezielt auf die spezifischen Einwirkungsbereiche ausgerichtet werden (Vernooij/Schneider, 2008, 110ff).

Motorik

Man unterscheidet zwischen willkürlichen (Motorik) und unwillkürlichen (Motilität) Bewegungsabläufen. Außerdem gibt es Bewegungsanteile, die zwar bewusst aber mit psychischen Anteilen durchdrungen sind (Psychomotorik). Tiergestützte Interventionen verbessern die Motorik (Förderung von Bewegungsfreude und Bewegungskoordination), die Motilität (Gesamtbeweglichkeit) und die Psychomotorik als Ausdrucksfähigkeit psychischer Befindlichkeit (Mimik, Gestik, Sprache, Körperhaltung). Außerdem fördern sie das Körperschema, also die räumliche Körpervorstellung.

Motivation

Unter Motivation wird der menschliche Antrieb zu einem bestimmten Verhalten verstanden. Dabei wird zwischen intrinischer Motivation und extrinischer Motivation unterschieden. Bei der intrinischen Motivation wird eine Handlung z.B. aus innerem Interesse ausgeführt, bei extrinischer Motivation deshalb, weil damit z.B. positive Folgen herbeigeführt oder negative Folgen vermieden werden sollen (Belohnung/Bestrafung). Tiere erhöhen bei Kinder die intrinische Motivation: sie zeigen Interesse am Tier. Tiere können aber auch extrinisch motivieren: als Ansporn zur Aufgabenbewältigung. Die Anwesenheit von Tieren wird Kinder zu Verhaltensweisen motivieren, die ohne Tier vermutlich nicht eintreten würden.

Kognition/Lernen

Selbst- und Welterkenntnis beruhen auf kognitiven Prozessen. Zu ihnen zählen Wahrnehmung, Vorstellen, Denken, Beurteilen, Lernen, Wissen und Gedächtnis. Kognitive Prozesse können durch Tiergestützte Interventionen beeinflusst werden. So kann die Fähigkeit zur Beurteilung sozialer Situationen durch Tierbeobachtungen und das Erkennen der Intention des Tieres gefördert werden. Außerdem lassen sich Kenntnisse im Umgang mit Tieren auch auf zwischenmenschliche Interaktionen übertragen. Darüber hinaus kann die wechselseitige Abstimmung zwischen tierischen und kindlichen Bedürfnissen zu einem Abbau sozialer Ängste führen, was dann auch zwischenmenschliche Interaktionen beeinflusst.

Wahrnehmung/Sensorik

Die Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindrücken wird als Wahrnehmung bezeichnet. Tiergestützte Interventionen können Wahrnehmungsprozesse fördern. Tierbeobachtungen können die Wahrnehmungsdifferenziertheit und die Konzentrationsfähigkeit verbessern sowie die Aufmerksamkeitsspanne erweitern. Auch Formen verzerrter Selbstwahrnehmung können in der Interaktion mit dem Tier bewusst und einer behutsamen Korrektur zugeführt werden.

Sozialverhalten

Als soziales Verhalten wird menschliches Verhalten im sozialen Feld bezeichnet. Das Sozialverhalten lässt sich durch tiergestützte Interventionen beeinflussen und ggf. korrigieren. So ist es möglich, verschüttete kindliche Bedürfnisse nach Nähe und Kontakt in der Interaktion mit Tieren freizusetzen. Außerdem lassen sich soziale Ängste, die das zwischenmenschliche Miteinander erschweren oder verunmöglichen, durch Tierkontakte abbauen. Das kindliche Erlebnis im Umgang mit dem Tier, akzeptiert, gemocht und gebraucht zu werden, stärkt das Selbstwertgefühl. Diese Interaktionserfahrungen mit dem Tier lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf zwischenmenschliche Interaktionsformen übertragen.

Emotionalität

Unter Emotionalität wird die Gesamtheit der Gefühlsregungen verstanden. Zu den Teilbereichen des emotionalen Geschehens gehören: emotionale Kontrolle, emotionale Selbststeuerung, Selbstwertstabilität, Affekt und Frustrationstoleranz. Tiergestützte Interventionen können auf alle Teilbereiche der Emotionalität einwirken. Tierkontakte rufen Gefühle hervor, die verstärkt oder korrigiert werden können. Durch die Anwesenheit eines Tieres lassen sich Erregungszustände positiv beeinflussen. Außerdem können soziale Ängste im Tierkontakt reduziert oder abgebaut werden. Tiere wirken auf Situationen entspannend. Auch die emotionale Selbststeuerung kann in der Interaktion mit dem Tier gefördert werden, da Tiere unmittelbar auf menschliches Verhalten artspezifisch reagieren. Kontaktgestörte Kinder schließlich können ihre Blockade im Umgang mit dem Tier überwinden.

Sprache/Kommunikation

Sprache bietet uns die Möglichkeit der Verständigung. Über sie binden wir uns in menschliche Gemeinschaften ein. Voraussetzungen für den Spracherwerb sind neben der Hörfähigkeit und funktionsfähiger Sprechorgane Sprachvorbilder. Mittels Tiergestützte Interventionen kann der Bereich Sprache/Kommunikation gefördert werden. Tiere erhöhen oft die Sprechfreude und die Sprachfähigkeit von Kindern in unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Sprachentwicklung. Im Umgang mit dem Tier und dessen nonverbalen Kommunikationsformen kann die Sensibilität für Reaktionen des Partners erhöht werden. Die beeinflusst auch das Einfühlungsvermögen für Reaktionsweisen menschlicher Partner. In der Interaktion mit dem Tier sind Kinder oft in der Lage, nonverbale Ausdrucksformen sich anzueignen. Dies reduziert im zwischenmenschlichen Umgang Konflikte. Manchmal sind Tiere die einzigen Kommunikationspartner eines Kindes. Sie verbessern sein Wohlbefinden. Auch dies kann sich positiv auf viele andere Lebensbereiche des Kindes auswirken.

Welche Wirkungen können Tiergestützte Interventionen erzielen?

Wirkeffekte

Es gibt nur wenige wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zu den Wirkeffekten Tiergestützter Interventionen. Dennoch gelten nachfolgende Wirkeffekte als gesichert (Vernooij/Schneider, 2008, 139ff):

Biologisch-physische Wirkeffekte

Das Streicheln von Tieren wirkt blutdrucksenkend und kreislaufstabilisierend. Außerdem wirkt der Umgang mit Tieren durch Adrenalinreduktion stressreduzierend.

Emotional-soziale Wirkeffekte

Tiere haben eine positive atmosphärische Wirkung und verbessern die psychische Befindlichkeit. Sie überwinden soziale Isolation, verringern gewalttätige Vorkommnisse, reduzieren Suizidgefährdung und regen zu Spiel und Freude an. Darüber hinaus können Tiere Katalysatorfunktion für zwischenmenschliche Kommunikation haben.

Kognitiv-sprachliche Wirkeffekte

Tiere erhöhen das Interesse an der Umwelt. Sie steigern die Aufmerksamkeitspanne, erleichtern die Kontaktaufnahme, erhöhen die Interaktionsbereitschaft und verbessern die Kommunikationsfähigkeit.

Sonstige Wirkeffekte

Tiere fördern die Empathiefähigkeit, die Fürsorglichkeit und die Verantwortlichkeit. Sie erziehen zu Ordnung, Pünktlichkeit und Selbstdisziplin. Der Körperkontakt zu Tieren kann Verhärtungstendenzen auflösen, die Phantasie anregen und die Erlebnisfähigkeit vertiefen. Sie ermöglichen den Umgang mit Todeserfahrung und Trauerarbeit. Insgesamt fördern Tiere die kindlichen Entwicklungsprozesse und tragen so zu einer ganzheitlichen Entwicklungsförderung bei.

Welche Voraussetzungen müssen für Tiergestützte Interventionen erfüllt werden?

Teilaspekte des Wirkungsgefüges

Tiergestützte Interventionen müssen als komplexes Wirkungsgefüge verstanden werden. Teilaspekte dieses Wirkungsgefüges sind: die Lebenssituation des Kindes, die Rahmenbedingungen der Kind-Tier-Interaktion, die Einwirkungsbereiche der kindlichen Persönlichkeit und das Tier (Vernooij/Schneider, 2008, 96ff).

Das Tier

Jede Tierart wirkt in besonderer Weise auf bestimmte Seelenregionen des Menschen. Die Kunst einer tiergestützten Entwicklungshilfe beginnt beim Finden der geeigneten Tierart, der Rasse, des Geschlechts und des individuellen Tieres. Die Tiere müssen für Tiergestützte Interventionen geeignet und ggf. dafür ausgebildet und trainiert sein. Auch muss den artgemäßen Bedürfnissen eines Tieres entsprochen werden. Dabei sind viele Faktoren zu berücksichtigen: die artgerechte Haltung, Pflege und Ernährung, eine regelmäßige Kontrolle durch einen Tierarzt, die Möglichkeit eines freien Auslaufs, des regelmäßigen Kontaktes zu Artgenossen, Rückzugsmöglichkeiten, ein rhythmisch gestalteter Tagesablauf, eine stabile Bezugs- und Betreuungsperson usw.

Der Tierführer

Das Verhalten des Tierführers prägt das Verhalten des Tieres. Er benötigt neben Führungsqualitäten wie Vertrauenswürdigkeit, Klarheit, Entschlossenheit auch eine stabile Beziehung zum Tier. Weiter bedarf es tierspezifischer Kenntnisse. Der Tierführer muss in der Lage sein, feinste Körpersignale des Tieres zu interpretieren. Tiergestützte Förderung kann nur durch Sonderpädagogen auf Grundlage eines individuellen Förderplans, Tiergestützte Therapie nur durch einen spezifisch ausgebildeten Therapeuten durchgeführt werden.

Das Kind

Die Voraussetzung für eine positive Einflussnahme des Tieres auf ein Kind ist eine Affinität des Kindes zu Tieren als Grundlage für einen Beziehungsaufbau. Das Kind darf nicht unter Tierallergien leiden.

Welche Tiere können für Tiergestützte Interventionen eingesetzt werden?

Geeignete Tiere

Jede Tierart hat spezifische Wirkungen auf bestimmte kindliche Seelenregionen. Es ist deshalb bei Tiergestützten Interventionen wichtig, die geeignete Tierart für die tiergestützte Hilfe des jeweiligen Kindes zu finden. Bei Tiergestützten Interventionen werden bevorzugt folgende Tierarten eingesetzt (Vernooij/Schneider, 2008, 180f): Pferde (89,9%), Fische/Aquarien (25,4%), Hunde (20,9%), Nagetiere (13,4%). Weitere eingesetzte Tiere sind: Lamas, Esel, Katzen, Delfine, Vögel, Reptilien, Insekten und Nutztiere aller Art.

Pferde

Pferde eigenen sich, wie auch Ponys und Esel, hervorragend für Tiergestützte Interventionen bei Kindern. Als Herdentiere sind sie gesellig und kontaktfreudig. Sie besitzen eine feine Wahrnehmung und differenzierte Ausdruckssignale. Durch körperliche Signale können sie sich gut abgrenzen und ein optimales Distanz-Nähe-Verhältnis herstellen. Pferde fordern Führung. Erscheint diese nicht vertrauenswürdig genug, verweigern sie die Gefolgschaft und melden selbst Führungsanspruch an. Pferde reagieren unmittelbar auf den Menschen. Sie spiegeln menschliche Gefühle und menschliches Verhalten direkt wider. Ohne Fähigkeit zur nonverbalen Kommunikation kann mit Pferden nicht kommuniziert werden. Pferde sind harmonische Bewegungswesen. Sie geben in unserer bewegungsarmen Zeit Anregung für Bewegungsvielfalt. Die spezifische Gangart des Pferdes fördert die Beweglichkeit, unterstützt eine tiefe Atmung und regt die Durchblutung an. Beim Reiten kann das Kind sein inneres und äußeres Gleichgewicht finden, sich Getragen fühlen und lernen, dass man anderen Lebewesen vertrauen kann. Pferde werden zum therapeutischen Reiten, zur Krankengymnastik und zur pferdegestützten Sprachtherapie eingesetzt.

Hunde

Der Hund gilt als treuer, zuverlässiger Partner des Menschen. Er vermittelt Geborgenheitsgefühle, Freude im Umgang und den Eindruck, um seiner selbst willen angenommen zu sein. Hunde können helfen, den Tagesverlauf zu strukturieren. Sie fördern das Selbstwertgefühl, das Sozialverhalten und die Empathiefähigkeit. Außerdem helfen sie die nonverbale Kommunikation und die motorische Entwicklung anzuregen. Sie regen zu Aktivitäten an und erziehen zu Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. Hunde werden deshalb als Nutz- und Arbeitstiere (Wachhund, Schutzhund, Jagdhund, Hütehund), als Servicehunde (Blindenführhund, Signalhund, Behindertenbegleithund, Epilepsiehund), als Sozialhunde und Therapiebegleithunde eingesetzt.

Esel

Esel gelten als eigensinnige Tiere. Zerrt ein störrisches Kind an ihnen, werden sie immer verstockter. Sie bleiben schließlich einfach stehen, wenn ihnen etwas nicht behagt. Will das Kind die Führung eines Esels übernehmen, muss es ein ruhiges, bestimmtes und geduldiges Durchsetzungsvermögen zeigen.

Lamas

Die Arbeit mit Lamas bietet große Chancen für Tiergestützte Interventionen. Durch ihr weiches Fell und ihre interessierten, dunklen Augen werden wohlige, wohltuende Gefühle angeregt. Ihre Ruhe, ihre Friedfertigkeit, ihr behutsames Auftreten und ihre Fähigkeit zur Beziehungsarbeit prädestiniert sie zur Förderung verhaltensauffälliger Kinder und eignet sie zum Einsatz in der Traumaarbeit sowie der Suchttherapie. Das Lama ist seiner Umgebung zugewandt. Im Hören hat es eine besondere Sinneswachheit. Darüber hinaus ist seine tastende Beziehung zur Welt auffallend: Mit seinen gepolsterten Hufen betastet es beim leisen, behutsamen Auftreten den Boden. Aber auch mit seiner gespaltenen Oberlippe – die oberen Schneidezähne fehlen – ertastet es fühlend die Welt. Lamas benötigen einen ruhigen, konsequenten Umgang. Sie lassen Nähe und Distanz das Gegenüber bestimmen. Das ist vor allem bei Kindern mit gestörtem Körpergefühl therapeutisch bedeutsam.

Schafe

Schafe sind Herdentiere. Sie lassen sich kaum führen. Schafe bleiben im Umkreis ihrer Herde und ziehen mit dieser mit. Sie haben Gefallen daran, gelockt zu werden. Dann lassen sie sich manchmal auch streicheln.

Katzen

Katzen sind eigensinnige Tiere. Sie leben ihr eigenes Leben. Nur, wenn ihnen die Atmosphäre behagt, kommen sie zum Kind, schmiegen sich an und lassen sich streicheln. Kaninchen: Kaninchen lassen sich streicheln. Dennoch zeigen sie nicht deutlich, ob ihnen das wirklich gefällt.

Delphine

Delphine haben auf Menschen eine besondere Anziehungsfähigkeit. Sie gelten als intelligente, freundliche, hilfsbereite und lernfähige Tiere. Delphintherapie wird vor allem bei geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen, bei Mehrfachbehinderungen, bei traumatischen Erfahrungen sowie bei autistischen Störungsbildern und bei schweren Kommunikations- und Interaktionsstörungen eingesetzt. Bereits seit Anfang der 1970er Jahre gibt es in den USA delphingestützte Tiertherapien. Heute existieren weltweit über zehn Delphintherapiezentren.

Welche Bedenken lassen sich gegen Tiergestützte Interventionen vorbringen?

Befürchtungen

Immer wieder werden bei Tiergestützten Interventionen von Eltern besorgte Fragen geäußert. Sie beziehen sich vor allem auf Unfallgefahren und hygienische Bedenken.

Unfallgefahr

Unfälle sind grundsätzlich nie völlig auszuschließen. Sie geschehen meist durch Hochspringen, Zuschnappen, Treten oder Kratzen. Auch durch Anspringen, Stolpern oder Umreißen können Verletzungsgefahren eintreten. Durch artgerechte Haltung und artgerechten Umgang mit dem Tier lassen sich aber viele Unfallgefahren minimieren oder vermeiden.

Hygienische Bedenken

Die am häufigsten genannten hygienischen Bedenken beziehen sich auf Verschmutzungen durch Haare und Ausscheidungen, auf das Einschleppen von Krankheitserregern und das Auslösen oder Verstärken von Allergien. Durch einfache Verhaltensregeln lassen sich viele Infektionsrisiken reduzieren: Hände waschen, bei immungeschwächten Kindern sogar desinfizieren; Abschlecken lassen vermeiden; artgerechte Tierhaltung; zeitnahes Entfernen von Parasiten; regelmäßige Kontrolle durch den Tierarzt; regelmäßige Reinigung der Stallungen und Aufenthaltsbereiche der Tiere. Gefahren durch Tiergestützte Interventionen lassen sich also reduzieren. „Mit einigen generellen Vorsichtsmaßnahmen kann jeder Mensch mit Ausnahme eines Akutkranken von der Begleitung eines Tieres profitieren“ (Otterstedt, 2001, 131). Zusammenfassend kann abschließend festgestellt werden, „dass der positive Einfluss der Heimtierhaltung auf den Menschen die mögliche Gefährdung übersteigt“ (Robert Koch Institut, 2003, 21).

Literatur

Greiffenhagen, S. (1991):
Tiere als Therapie. Neue Wege in Erziehung und Heilung. München.

Olbrich, E./Otterstedt, C. (2003):
Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart.

Vernooij, M./Schneider, S. (2008):
Handbuch der Tiergestützten Interventionen. Grundlagen, Konzepte, Handlungsfelder. Wiebelsheim.